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Kartell-Absprache: EU verhängt 329 Millionen Euro Bußgeld gegen Delivery Hero und Glovo

Kartell: Delivery Hero muss ein Bußgeld in Höhe von über 300 Millionen Euro zahlen.
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Die EU-Kommission hat die Unternehmen Delivery Hero SE und Glovoapp23 SA wegen Kartell-Bildung auf dem Markt für Online-Lieferdienste zu einer Gesamtgeldbuße von 329 Millionen Euro verurteilt. Die Entscheidung ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: Einerseits in Bezug auf die arbeitsrechtlichen Dimensionen, andererseits hinsichtlich des Umgangs mit Minderheitsbeteiligungen an Wettbewerbern.

Kartell-Struktur und zentrale Absprachen

Zwischen 2018 und 2022 koordinierten die beiden Plattformen ihr Marktverhalten durch drei zentrale Absprachen. Diese schränkten im Zusammenspiel den Wettbewerb im Online-Lieferdienstmarkt erheblich ein:

  • Keine Abwerbung von Mitarbeitern: Ursprünglich war dies im Rahmen der Gesellschaftervereinbarung beim Erwerb einer Minderheitsbeteiligung von Delivery Hero an Glovo verankert. Daraus entwickelte sich ein umfassendes No-Poach-Abkommen. Die Unternehmen verpflichteten sich darin, aktiv keine Mitarbeiter des jeweils anderen Unternehmens anzuwerben. Dieses Abkommen war nicht auf Führungskräfte beschränkt, sondern wurde auf einen großen Teil der Belegschaft ausgedehnt. Dadurch wurde der Wettbewerb um qualifiziertes Personal systematisch unterbunden.

  • Austausch wettbewerblich sensibler Informationen: In mehreren Fällen tauschten die beiden Unternehmen vertrauliche Daten über Preise, Kostenstrukturen, Geschäftsstrategien sowie operative Planungen aus. Durch diese Informationen war eine strategische Abstimmung des Marktverhaltens möglich und unabhängige wirtschaftliche Entscheidungen wurden unterbunden. Gerade in dynamischen Märkten wie der digitalen Plattformökonomie kann ein solcher Informationsaustausch schnell zu einer faktischen Marktabsprache führen.

  • Marktaufteilung im EWR: Zudem verständigten sich Delivery Hero und Glovo darauf, geografische Überschneidungen ihrer Aktivitäten im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) zu vermeiden. Das bedeutet, dass jeweils auf eine Markteintrittsstrategie verzichtet wird, wenn der andere Anbieter bereits in einem bestimmten nationalen Markt aktiv ist. Auch bei potenziellen Neueintritten stimmten sich die Unternehmen ab, um eine direkte Konkurrenzsituation zu vermeiden. Diese territoriale Aufteilung lief faktisch auf ein Gebietsmonopol hinaus und beraubte Verbraucher in mehreren Ländern der Auswahlmöglichkeit.

Minderheitsbeteiligung zur Verschleierung von Kartell-Absprachen

Die rechtliche Bewertung der Europäischen Kommission stützt sich maßgeblich auf Artikel 101 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sowie auf Artikel 53 des EWR-Abkommens. Diese Vorschriften untersagen Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen sowie aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken.

Die Kommission stuft die zwischen Delivery Hero und Glovo getroffenen Vereinbarungen als „einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung” gegen diese Normen ein. Grundlage dieser Einordnung ist die systematische Verknüpfung der drei Verhaltensweisen (No-Poach-Abkommen, Informationsaustausch und Marktaufteilung) zu einem zusammenhängenden wettbewerbswidrigen Gesamtplan. Die Tatsache, dass sich diese Praktiken über mehrere Jahre hinweg erstreckten und das gesamte Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraums betrafen, unterstreicht die Schwere des Verstoßes.

Die EU-Kommission hat in dem Kartell-Verfahren auch die Rolle einer Minderheitsbeteiligung an einem Wettbewerber rechtlich bewertet. Zwar ist der Erwerb einer Minderheitsbeteiligung an sich kartellrechtlich zulässig. Im vorliegenden Fall diente diese Beteiligung jedoch als Mittel zur Ermöglichung und Verschleierung der Abstimmungen. Daher war eine vertiefte kartellrechtliche Kontrolle gerechtfertigt. Die Entscheidung verdeutlicht, dass bereits strukturelle Verflechtungen zwischen Wettbewerbern unter bestimmten Umständen zur Verwirklichung eines kartellrechtswidrigen Verhaltens beitragen können.

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Zivilrechtliche Ansprüche auf Grundlage der Antitrust-Schadensersatzrichtlinie

Neben den öffentlich-rechtlichen Sanktionen durch die Europäische Kommission eröffnet die Entscheidung in der Sache Delivery Hero/Glovo umfangreiche zivilrechtliche Konsequenzen für geschädigte Dritte. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und auf Grundlage der Antitrust-Schadensersatzrichtlinie (Richtlinie 2014/104/EU) können betroffene Unternehmen oder Einzelpersonen vor nationalen Gerichten Schadensersatz verlangen.

Anspruchsberechtigte: Potenzielle Kläger sind unter anderem Restaurants, die durch die beschränkte Anbieterwahl wirtschaftliche Nachteile erlitten haben. Oder Arbeitnehmer, deren berufliche Mobilität und Verdienstmöglichkeiten durch das No-Poach-Abkommen eingeschränkt wurden.

Beweiserleichterung: Die Kommissionsentscheidung entfaltet in einem zivilgerichtlichen Verfahren Bindungswirkung im Hinblick auf das Vorliegen und die Rechtswidrigkeit des wettbewerbswidrigen Verhaltens (Art. 9 VO 1/2003). Der Kläger muss nur noch die individuelle Schadenshöhe und Kausalität nachweisen.

Quantifizierung und praktische Hürden: Obwohl der Rechtsrahmen durch Leitlinien zur Schadensquantifizierung gestützt wird, ist die praktische Bezifferung der Schäden komplex. Es bedarf ökonomischer Gutachten, branchenspezifischer Datenanalysen und gegebenenfalls gerichtlicher Beweisaufnahme. Die Antitrust-Schadensersatzrichtlinie bietet jedoch zusätzliche Instrumente wie Auskunftsansprüche und Offenlegung von Beweismitteln.

Kollektive Rechtsdurchsetzung: In einigen Mitgliedstaaten besteht darüber hinaus die Möglichkeit kollektiver Klagen durch Verbände oder Sammelklageinstrumente, was den Zugang zur Justiz insbesondere für kleinere geschädigte Marktteilnehmer erleichtert.

Relevanz für die Compliance-Praxis

In einem EU-Kartellverfahren wurde erstmals ein „No-Poach“-Abkommen explizit als wettbewerbswidrig eingestuft. Dies macht deutlich, dass Unternehmen auch im HR-Bereich kartellrechtlichen Pflichten unterliegen. Solche Absprachen führen zu einer Einschränkung der Arbeitnehmermobilität und zu verzerrten Marktbedingungen im „War for Talent“.

Die Kommission stellte außerdem klar, dass eine Minderheitsbeteiligung an sich keinen Kartell-Verstoß darstellt. Wenn diese Beteiligung jedoch als Vehikel für den Austausch wettbewerbsrelevanter Informationen oder zur Koordinierung strategischer Entscheidungen dient, kann sie den Weg in eine kartellrechtswidrige Kollusion ebnen. Compliance-Verantwortliche müssen daher sicherstellen, dass bei Beteiligungen an Wettbewerbern funktionale Trennwände („Chinese Walls“) etabliert und überwacht werden.

Der Fall zeigt aber auch, wie sich Unternehmen aktiv absichern können. Sowohl Delivery Hero als auch Glovo haben die Tatvorwürfe eingeräumt und einer Einigung im Rahmen des Kartellvergleichsverfahrens („Settlement Procedure“) zugestimmt. Dies führte zu einer pauschalen Bußgeldminderung von 10 %.

Das Kartellverfahren unterstreicht nicht zuletzt die zunehmende Bedeutung digitaler Hinweisgebersysteme und Marktbeobachtungen. Die Untersuchung wurde unter anderem durch Hinweise einer nationalen Wettbewerbsbehörde und anonymer Whistleblower ausgelöst. Deshalb sollten Compliance-Systeme interne Meldestellen nicht nur als rechtliche Pflicht, sondern auch als strategisches Frühwarninstrument verstehen.

Quelle: Mitteilung der EU-Kommission “Commission fines Delivery Hero and Glovo €329 million for participation in online food delivery cartel”

Nutzen Sie diese Entscheidung als Anlass zur Überprüfung Ihrer internen Richtlinien, HR-Praktiken und Beteiligungsstrukturen. Führen Sie gezielte Schulungen zu No-Poach-Risiken durch, sensibilisieren Sie Ihre Fachbereiche und prüfen Sie bestehende Gesellschaftervereinbarungen auf kartellrechtliche Fallstricke.

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