In einem aktuellen Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) steht die datenschutzrechtliche Bewertung von E-Mail-Newslettern im Mittelpunkt. Dabei geht es unter anderem um die Abgrenzung zwischen Direktwerbung und kommerzieller Kommunikation sowie um die Anwendbarkeit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) im Verhältnis zur ePrivacy-Richtlinie. Die zentrale Frage lautet: Unter welchen Voraussetzungen ist ein Newsletter ohne Einwilligung zulässig?
Bußgeld wegen Newsletter
Die rumänische Plattform avocatnet.ro ist ein Online-Medium, das täglich aktuelle Informationen zu rechtlichen Entwicklungen in Rumänien veröffentlicht. Um den vollständigen Zugang zu den Inhalten zu erhalten, können die Nutzer ein kostenloses Benutzerkonto einrichten. Über dieses Konto erhalten sie Zugang zu einem täglichen E-Mail-Newsletter mit rechtlichen Updates, den sogenannten “Personal Updates”. Neben dem kostenlosen Angebot besteht die Möglichkeit, zusätzliche kostenpflichtige Inhalte im Rahmen eines Premium-Abonnements zu erwerben.
Im Jahr 2019 wurde der Betreiber der Plattform, Inteligo Media, von der rumänischen Datenschutzbehörde mit einem Bußgeld belegt. Der Vorwurf: Der Versand von Newslettern sei ohne ausreichende Einwilligung der betroffenen Nutzer erfolgt. Inteligo Media wies die Vorwürfe zurück und klagte gegen die Sanktion vor den nationalen Gerichten. Nachdem sich die nationalen Instanzen mit der Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung befasst hatten, sah sich das Berufungsgericht Bukarest mit komplexen unionsrechtlichen Fragen konfrontiert. Es setzte das Verfahren aus und legte dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen zur Auslegung der ePrivacy-Richtlinie und der DSGVO vor.
Direktwerbung oder redaktionelle Information?
Im Mittelpunkt der rechtlichen Bewertung steht die Frage, ob der betreffende Newsletter als “Direktwerbung” im Sinne von Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2002/58/EG zu qualifizieren ist. Diese Einordnung ist von erheblicher Bedeutung, da sich daraus ableitet, ob eine vorherige ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Nutzer erforderlich ist oder ob die Ausnahmeregelung des Art. 13 Abs. 2 eingreift. Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs kommt in seinem Schlussantrag zu dem Ergebnis, dass der Newsletter in der vorliegenden Konstellation eindeutig den Charakter einer Direktwerbung aufweist.
Seine Begründung: Der Newsletter enthält regelmäßig versandte Inhalte, die aktuelle rechtliche Entwicklungen zusammenfassen und mit Hyperlinks zu den vollständigen Artikeln auf der Website der Plattform versehen sind. Offenkundiges Ziel sei nicht nur die Information der Nutzer, sondern auch deren aktive Bindung an die Plattform. Der Generalanwalt stellt fest, dass die Nutzer durch den gezielten Aufbau des Newsletters dazu angeregt werden sollen, ihr kostenloses monatliches Kontingent an Artikeln auszuschöpfen. Dies wiederum erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Nutzer für ein kostenpflichtiges Abonnement entscheiden.
Entscheidend ist nach Ansicht des Generalanwalts insbesondere die individualisierte Ansprache: Der Newsletter wird direkt an die persönliche E-Mail-Adresse des jeweiligen Nutzers versandt und enthält für ihn relevante Inhalte. In Verbindung mit dem wirtschaftlichen Ziel der Plattform, zahlende Abonnenten zu gewinnen, erfüllt der Newsletter damit alle Merkmale einer Direktwerbung im datenschutzrechtlichen Sinne. Die Verbindung von redaktionellem Anschein und Werbeabsicht macht die Einordnung als Direktwerbung aus Sicht des Generalanwalts zwingend.
Digitale Transaktionen: Was gilt als "Verkauf"?
Ein weiterer zentraler Punkt betrifft die rechtliche Definition des Begriffs “Verkauf” im digitalen Umfeld. Dieser ist im herkömmlichen Verständnis mit der Zahlung eines Geldbetrags verbunden. Der Generalanwalt weicht in seiner Auslegung jedoch bewusst von dieser engen Definition ab und greift die Realität digitaler Geschäftsmodelle auf. Im Internet ist es längst gängige Praxis, dass Nutzer für Inhalte oder Dienste nicht mit Geld, sondern mit der Bereitstellung personenbezogener Daten bezahlen. Dazu gehören insbesondere E-Mail-Adressen, aber auch Nutzungsdaten oder demografische Informationen.
Diese Form des “Bezahlens” mit Daten wird zunehmend als wirtschaftlich relevante Gegenleistung anerkannt. Der Nutzer erhält im Gegenzug Zugang zu bestimmten Leistungen – etwa zusätzliche Artikel, den Bezug eines Newsletters oder einen erweiterten Funktionsumfang eines Dienstes. Dieser Austausch folgt einem klaren wirtschaftlichen Zweck und generiert einen messbaren Mehrwert für das anbietende Unternehmen, sei es durch gezieltes Marketing, Nutzerbindung oder Monetarisierung durch Dritte.
Der Generalanwalt argumentiert, dass ein solcher Austausch von Daten gegen Vorteile im Ergebnis denselben funktionalen Zweck erfüllt wie ein klassischer Verkauf. Er betont, dass im Kontext datenbasierter Geschäftsmodelle eine weite Auslegung des Verkaufsbegriffs erforderlich sei, um den tatsächlichen wirtschaftlichen Zusammenhängen gerecht zu werden. Eine restriktive Auslegung, die nur auf monetäre Transaktionen abstellt, würde dem digitalen Markt und seinen Mechanismen nicht gerecht und könnte zu erheblichen Datenschutzlücken führen. Daher ist auch eine rein datenbezogene Transaktion als “Verkauf” im Sinne der ePrivacy-Richtlinie zu qualifizieren, sofern der Zweck der Datenerhebung mit einem wirtschaftlichen Vorteil für den Anbieter verbunden ist.
Verhältnis von DSGVO und ePrivacy-Richtlinie: Wer regelt was?
Von zentraler Bedeutung für die rechtliche Beurteilung der elektronischen Direktwerbung ist das Zusammenspiel der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) mit der ePrivacy-Richtlinie. Art. 95 DSGVO stellt klar, dass die DSGVO keine zusätzlichen Pflichten begründet, wenn bereits durch spezielle Bestimmungen der ePrivacy-Richtlinie Regelungen mit demselben Ziel getroffen wurden. Diese Vorrangregelung dient der Rechtssicherheit und stellt sicher, dass datenschutzrechtliche Anforderungen nicht unnötig doppelt angewendet werden.
Im vorliegenden Fall betont der Generalanwalt, dass Art. 13 der ePrivacy-Richtlinie eine abschließende Spezialregelung für die Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel zu Werbezwecken darstellt. Die Vorschrift regelt insbesondere detailliert, wann eine vorherige Einwilligung für Direktwerbung per E-Mail erforderlich ist und unter welchen Umständen auf eine solche Einwilligung verzichtet werden kann. Die DSGVO trete insoweit zurück, da sie mit Art. 6 zwar allgemeine Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung enthalte, aber nicht die gleiche Spezifizierung für Direktwerbung aufweise wie Art. 13 der ePrivacy-Richtlinie.
Eine zusätzliche Prüfung am Maßstab des Art. 6 DSGVO ist daher nach Ansicht des Generalanwalts in Konstellationen, die vollständig unter Art. 13 ePrivacy-Richtlinie fallen, nicht erforderlich. Diese Auffassung entspricht dem Rechtsgrundsatz lex specialis derogat legi generali: Die speziellere Norm verdrängt die allgemeinere, wenn beide denselben Regelungsgegenstand betreffen. Im Ergebnis sorgt diese Auslegung für eine klare Kompetenzverteilung zwischen den beiden Regelwerken und vermeidet potentielle Widersprüche bei der datenschutzrechtlichen Bewertung elektronischer Werbung?
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Direktwerbung vs. kommerzielle Kommunikation
In einigen Mitgliedstaaten wird bei der Umsetzung der ePrivacy-Richtlinie nicht der Begriff “Direktwerbung”, sondern der Begriff “kommerzielle Kommunikation” verwendet. Dieser Begriff ist in der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr definiert und umfasst alle Mitteilungen, die der unmittelbaren oder mittelbaren Förderung des Absatzes von Waren und Dienstleistungen dienen oder das Erscheinungsbild eines Unternehmens prägen. Demgegenüber sei der Begriff der Direktwerbung spezifischer und beziehe sich auf individuell adressierte Maßnahmen zu kommerziellen Zwecken, die unmittelbar an einzelne Nutzer gerichtet seien.
Der Generalanwalt betont, dass Direktwerbung immer auch kommerzielle Kommunikation ist, aber nicht umgekehrt. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist ein allgemeiner Imagefilm oder eine Sponsorenbotschaft eines Unternehmens, die das Image des Unternehmens in der Öffentlichkeit fördern sollen, sich aber nicht gezielt an einzelne Adressaten richtet. Solche Maßnahmen erfüllen nicht die Kriterien der Direktwerbung, da es an einer individualisierten Ansprache fehlt.
Die Verwendung unterschiedlicher Begrifflichkeiten in den nationalen Umsetzungen kann zu Problemen führen. Insbesondere besteht die Gefahr, dass nationale Regelungen von der Systematik des Unionsrechts abweichen, wenn sie nicht ausreichend zwischen den beiden Begriffen differenzieren. Dies kann wiederum zu einer uneinheitlichen Auslegung und Anwendung der Datenschutzvorschriften innerhalb der EU führen, was Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen stellt und letztlich die Rechtssicherheit im europäischen Binnenmarkt beeinträchtigt.
Newsletter als Direktwerbung: Praxisrelevanz für Unternehmen
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur datenschutzrechtlichen Zulässigkeit von Newslettern und zur Auslegung von Art. 13 Abs. 2 der ePrivacy-Richtlinie wird erhebliche Auswirkungen auf die unternehmerische Praxis haben. Unternehmen, die E-Mail-Marketing betreiben oder personalisierte digitale Dienste anbieten, stehen in der Verantwortung, ihre Datenverarbeitungsprozesse im Lichte dieser Rechtsentwicklung zu überprüfen. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob eine ausdrückliche Einwilligung des Betroffenen erforderlich ist oder ob die Datenverarbeitung auf eine gesetzliche Ausnahmevorschrift gestützt werden kann.
Für Plattformbetreiber und Medienunternehmen bedeutet dies konkret, dass der Umgang mit Nutzerdaten – auch im Rahmen von scheinbar unverbindlichen Angeboten wie kostenlosen Newslettern – datenschutzkonform ausgestaltet werden muss. Insbesondere ist darauf zu achten, dass die Betroffenen bereits bei der Erhebung ihrer E-Mail-Adresse klar, verständlich und transparent über den Verwendungszweck der Daten informiert werden. Ebenso wichtig ist es, dass den Nutzern einfache und jederzeit zugängliche Möglichkeiten zur Ablehnung bzw. Abbestellung von Werbemaßnahmen (Opt-out) zur Verfügung gestellt werden.
Unternehmen sollten zudem besonders sorgfältig prüfen, ob ihre Newsletter, Informationsdienste oder sonstige E-Mail-Kommunikation als Direktwerbung einzustufen sind. Entscheidend ist dabei nicht nur das äußere Erscheinungsbild der Nachricht, sondern auch der damit verfolgte Zweck. Insbesondere wenn durch Hyperlinks oder begleitende Hinweise die Nutzung kostenpflichtiger Angebote gefördert werden soll.
Aufsichtsbehörden in der Pflicht
Für die Aufsichtsbehörden ergibt sich aus dem vorliegenden Fall die klare Verpflichtung, bei der Verhängung datenschutzrechtlicher Sanktionen nicht nur die Rechtsgrundlagen präzise anzuwenden, sondern auch auf die Ausführlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Begründung zu achten. Die Kriterien des Art. 83 Abs. 2 DSGVO – wie Art, Schwere und Dauer des Verstoßes – müssen erkennbar in die Entscheidung einfließen. Nur so ist eine differenzierte, verhältnismäßige und gerichtsfeste Bußgeldpraxis möglich, die sowohl dem Schutz der Betroffenen als auch der Rechtssicherheit der Unternehmen gerecht wird.
Insgesamt zeigt das Verfahren, dass der rechtssichere Umgang mit elektronischer Werbung und digitaler Kundenansprache eine anspruchsvolle Herausforderung bleibt, die nicht nur technisches, sondern auch juristisches Know-how erfordert. Unternehmen und Behörden sind gleichermaßen gefordert, datenschutzrechtliche Vorgaben nicht nur formal, sondern auch in ihrer praktischen Wirkung umzusetzen.
EuGH-Entscheidung zu Newsletter steht noch aus
Der Schlussantrag des Generalanwalts stärkt die rechtliche Orientierung im Bereich des E-Mail-Marketings. Er stellt klar, unter welchen Bedingungen Direktwerbung per E-Mail zulässig ist und wie die Begriffe “Verkauf” und “Einwilligung” im digitalen Kontext zu verstehen sind. Besonders für Unternehmen im Online-Sektor ist das Verfahren richtungsweisend, da es die Grenzen zwischen erlaubter Werbung und Einwilligungspflicht konkretisiert.
Es ist jedoch zu beachten, dass es sich bei dem Schlussantrag um eine rechtliche Einschätzung handelt, die für den Gerichtshof nicht bindend ist. Die endgültige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs steht noch aus. Sie wird klären, inwieweit der Gerichtshof der Argumentation des Generalanwalts folgt – und somit den rechtlichen Rahmen für elektronische Direktwerbung in Europa verbindlich definieren.
Quelle: Schlussantrag des Generalanwalts des Europäischen Gerichtshofs zur Rechtssache C‑654/23
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